Warum erscheint Politik so schwierig und unnahbar?

Ein Erklärungsversuch zum abnehmenden Politikinteresse.

Schon einmal vorab: es muss bei einem Erklärungsversuch bleiben, denn alle Studien, warum sich die Bürger vermehrt von Politik abwenden und immer weniger zur Wahl gehen, haben bisher keine tiefgreifenden Erkenntnisse gebracht.

Ich selber war immer ein politischer Mensch: seit Generationen in der Familie Sozialdemokraten und mit einem gewerkschaftlich sehr engagierten Vater, der sich selber vom Facharbeiter zur Führungskraft weiterentwickelt hatte, dabei aber selber nie die Tuchfühlung verloren hatte zu dem, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter ihm dachten und fühlten, und zu den Verhältnissen, wo er selber herstammte.

Dies ist daher einer meine meiner Erkenntnisse: die Menschen haben Grundbedürfnisse nach Anerkennung und Orientierung. Und ich als Politiker muss mich fragen, ob ich diesem Grundbedürfnis gerecht werde. Ich muss mir daher die Frage stellen:

  • Vermittele ich den (zutreffenden) Eindruck, dass ich meinen Wählern und den Menschen, für die ich Politik mache, auf Augenhöhe begegne? Oder benutze ich eine Sprache, die die meisten Bürger nicht berührt, ihre Sorgen und ihr Lebensgefühl nicht trifft?
  • Kann ich wirklich vermitteln, dass ich eine Orientierung für meine Politik besitze, dass ich klarmachen kann, wofür ich stehe, ohne mich in inhaltsleere Floskeln zu verlieren?

Dies sind meines Erachtens die wichtigen Fragen, die sich jeder Politiker und jede Politikerin stellen muss.

Gleichzeitig haben sich aber auch die Rahmenbedingungen für eine solide Politik verändert:

  • Wir können nicht mehr nur kommunal oder auch nur national denken und handeln. Die Bezüge sind größer, internationaler, man sagt auch globaler geworden. Dies beweist z.B. die Verlagerung vieler Branchen und Arbeitsplätze seit den 80er Jahrenund in verstärktem Maße seit dem Zusammenbruch der „real existierenden sozialistischen Staaten“ 1990. Das bedeutet gleichzeitig auch, dass lokale und nationale Politik machtloser wird, da sie sich nur auf ihren Bereich beziehen kann. So können wir eben nicht (oder nur sehr eingeschränkt) auf die Arbeitsverhältnisse in den anderen Ländern der Welt einwirken. Und bei der Einwirkung auf die hiesigen Arbeitsverhältnisse müssen wir immer die Frage der Konkurrenzfähigkeit unserer Arbeitsplätze mitdenken. Dies ist nicht immer befriedigend und lässt den Einzelnen und sein Engagement manchmal an der Wirksamkeit seines Handelns verzagen. Doch ich bin der festen Auffassung, dass einerseits auch die früheren Einwirkungsmöglichkeiten überschätzt wurden und dass andererseits die Einflussnahme auf internationale Vorgänge auch möglich ist, man muss nur einen längeren Atem haben.
  • Die zweite wesentliche Rahmenbedingung, die sich verändert hat, ist der Zugang, die Verbreitung und die Nutzung von Medien. Konnte in den 70er und 80er Jahren ein medialer Konsens schon dadurch erzielt werden, dass die Menschen im Wesentlichen die gleichen verfügbaren Fernsehsender nutzten und die überschaubare Zahl an Zeitungen lasen, so hat sich durch die Digitalisierung das Blatt erheblich gewendet: es gibt eine solche Fülle von Medien, dass sich auch kleinste Interessengruppen in einem Medium Gehör verschaffen können, aber auch Riesenbewegungen durch Internetverbindungen erzeugen lassen. Gleichzeitig sind dies aber so flüchtige Erscheinungen, dass manch einer den Überblick verliert und sich lieber ganz aus der Diskussion verabschiedet. Die Vielfalt der Mediennutzung kann und soll nicht beklagt werden, doch gilt es, ihr den Platz zuzuweisen, den sie verdient: Medien sind immer nur ein Mittel zur Verbreitung von Inhalten, sie können richtige inhaltliche Aussagen nicht ersetzen mit Ausnahme der Forderung nach der Meinungs- und Pressefreiheit selbst! Wir müssen als mündige Bürger und als Politiker daher genau hinsehen, welchem Medium wir Vertrauen zur Verbreitung der für uns richtigen Inhalte schenken.

Mein Appell lautet daher: wir müssen bescheidener werden, was die Geltung und die Verbreitung der eigenen politischen Inhalte betrifft. Dennoch ist dies kein Grund, vor der zunehmenden Kompliziertheit der Welt zu verzagen, es geht immer noch um die richtigen Inhalte: Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde.